Darf der (Problem)Hund entscheiden?

Findest du es nicht auch schön, deinen Hund zu beobachten, wie er selbst gute Ideen hat, seine Persönlichkeit entfalten und einfach Hund sein kann?
Wenn du ihn einfach machen lassen kannst, ohne ständig micromanagen zu müssen.

Wäre es nicht toll, wenn er auch in schwierigen Situationen das Richtige tun würde, ohne dich um Hilfe Fragen zu müssen?

Zweifelst du daran, dass das überhaupt jemals funktionieren wird, weil dein Hund eher ausflippt, anstatt mal kurz nachzudenken und zu bewerten, ob der entgegenkommende Radfahrer/Hund/Mensch oä wirklich so gefährlich ist?

Dann bist du nicht allein.

Den meisten Hundeeltern fällt es schwer, den Hunden Entscheidungsfreiheit einzuräumen, besonders denen, die mit Problemhunden leben.

Kein Wunder, denn das Vertrauen in unsere tierischen Begleiter leidet unter jedem Ausraster, jedem Knurren am Napf/Knochen, jedem einzelnen mal, wo sie vor lauter Stress nicht zuhören können.

Wir haben das Gefühl, uns nicht auf die verlassen zu können und der logisch Schluss wäre doch, ihnen dann gewisse Privilegien zu entziehen.

Was aber, wenn das zu noch mehr Problemen führt?

Ich habe selbst sehr lange gebraucht, um loslassen zu können und meinen Hunden immer  mehr Freiheiten einzuräumen.

Genau aus den genannten Gründen.

Sie waren leinenaggressiv, haben Ressourcen verteidigt, sind in vielen Situationen furchtbar erschrocken und konnten kaum aus ihrer Angst wieder rauskommen (Angsthunde).

Ich wollte, dass sie mir einfach Vertrauen und mich alles für sie regeln lassen.

Doch das war grundfalsch.

Je mehr ich kontrollieren wollte, desto schlechter hat der Alltag funktioniert.

Die Ängste wurden nicht besser, die Begegnungen immer stressiger und auch Zuhause gab es immer mehr Spannungen.

Das Lustige dabei ist, das es nicht nur mir und meinen Hunden so ging. Mittlerweile sehe ich das auch bei meinen Teams im Training und sobald wir mehr Entscheidungen und mehr Freiheit in den Alltag einbauen, desto entspannter wird das Zusammenleben und desto größer wird das Wohlbefinden für alle Beteiligten.

Warum?

Versetzen wir uns mal in die Lage unserer Hunde.

Stell dir vor, jemand würde über jeden Aspekt deines Lebens bestimmen. Du hast keine Wahl mehr…

  • Was/wann/wie viel du isst und trinkt
  • Wo/wie lange/wann du schläfst
  • Wann du an die frische Luft kommst (und was/wie lange dann draußen gemacht wird)
  • Welche Hobbies du ausleben darfst
  • Wen du treffen darfst
  • Wann du die Toilette benutzen darfst

Und in manchen Haushalten

  • Welche Räume du in deinem eigenen Zuhause betreten darfst
  • Wann an dir manipuliert wird (du kannst nicht “nein” sagen, auch wenn dir jemand wehtut oder du einfach nicht möchtest)
  • Wann du dich überhaupt bewegen darfst
  • Wer dein Zuhause betritt
  • Wo du liegen darfst
  • Wer dich anfasst und wie (du wirst nicht gefragt, ob dir etwas unangenehm ist)

Das klingt übertrieben?

Dann überleg mal, wie viele Hunde sich einfach von Fremden ins Gesicht fassen lassen müssen. Ihre Beschwichtigungsversuche (über die Nase schlecken, den Kopf wegdrehen, die Pfote heben usw) werden ignoriert und wenn der Hund knurrt, wird er geschimpft.

So etwas muss dein Hund ohnehin nicht aushalten?

Super!

Hältst du dich auch selbst dran?

Darf dein Hund mitentscheiden, ob du ihn anfasst und/oder ihn pflegst (zB einen Zeck entfernst, die Pfoten abwischst, Sabber abtrocknest oä)?

Meist höre ich bei dieser Frage dann das Argument: naja, das muss ja gemacht werden.

Aber muss es wirklich?

Ist es lebensnotwendig für irgendjemanden?

Oder wollen wir Menschen und in dem Moment nur nicht von unseren Gewohnheiten trennen? Ich nehme mich da übrigens keineswegs aus.

Manchmal erwische ich mich immer noch dabei, wie ich “mal schnell” ein Blatt aus dem Fell ziehen will oä. 

Versteh mich nicht falsch, das mag für deinen Hund auch völlig ok sein, für meinen ist es das nicht.

Hunde sind eben genau wie wir sehr individuell. Sie sagen uns, was in Ordnung ist und was nicht.

Wenn wir ihnen zuhören.

Mit all unseren Einschränkungen des täglichen Lebens brauchen unsere Hunde also überall, wo es möglich ist, freie Wahl und Selbstbestimmtheit.

Das lockert das Leben auf und nimmt sehr viel Grundstress. 

Sehen wir uns also ein paar einfache und herausfordernde, aber notwendige Situationen an, in denen unsere Hunde entscheiden können sollten.

Kleinigkeiten

Hierzu zählen alle Dinge, die wir unseren Hunden einfach vorsetzen.

Anstatt 1 Kauartikel zu geben, können wir in einer Reihe mehrere auflegen, während der Hund in einem anderen Raum wartet und dann darf er einen aussuchen.

Anstatt 1 Bettchen zur Verfügung zu stellen, bieten wir mehrere an und lassen den Hund jederzeit frei wählen (ja, auch der Boden ist in Ordnung, denn da könnte es gerade schön sonnig oder kühl sein).

Anstatt den Spaziergang fix vorzugeben, gehen wir einfach mal dem Hund nach und lassen uns überraschen, wo es für ihn am spannendsten ist.

Und ja, wenn wir Narungsmittelunverträglichkeiten, Ressourcenthematiken oä haben, kann es sein, dass diese Entscheidungssituationen sehr gut geplant werden müssen.

Auf Spaziergängen können wir vielleicht nicht immer den ganzen Spaziergang nach den Wünschen des Hundes ausrichten (manche würden sich einfach auch überfordern), aber Stücke sind besser als gar nichts.

Der eigene Körper

Der eigene Körper ist die wichtigste Ressource jedes Lebewesens. Gerade Problemhunde und Angsthunde haben ohnehin oft noch nicht das Vertrauen in den Menschen, um ihnen diese wichtige Ressource bedenkenlos anzuvertrauen.

Wird dann einfach so an ihnen herumgefummelt, geht jedes bisschen Vertrauen wieder verloren.

Sie müssen lernen, dass sie sich absolut darauf verlassen können, dass ein „Nein“ respektiert wird und Fremde erst gar nicht hingreifen.

Dazu braucht es Medical Training. Dabei lernt der Hund, dass er eine bestimmte Position einnehmen kann, um uns Menschen zu signalisieren, dass wir jetzt tun dürfen. Verlässt der Hund die Position, hören wir auf.

Doch auch für normales Streicheln gibt es ein zu viel. Um sicherzugehen, dass unsere Hände noch angenehm für den Hund sind, können wir sie einfach für 5sec wegnehmen. Fordert der Hund durch einen Blick, Stupsen, Schlecken oder Näherkommen zum Weitermachen auf, können wir das gerne machen. Ansonsten genießen wir die Nähe einfach ohne Hände.

Hobbies

Den eigenen Bedürfnissen nachkommen zu können, ist ein wesentlicher Faktor im Wohlbefinden eines Lebewesens.

Denken wir einmal zurück, wie es uns ging, als wir durch COVID-19 plötzlich lauter Einschränkungen hatten…

Uns ging es schlagartig schlechter.

Bei unseren Hunden vergessen wir diesen Aspekt allerdings immer wieder.

Damit wir also mehr Hobbies in unseren Alltag einbauen können, müssen wir unsere Hunde erstmal beobachten, was sie machen, wenn wir sie an nichts hindern (in sicherer Umgebung).

Buddelt dein Hund gerne? Dann kannst du zB eine schicke kleine Sandkiste im Garten aufstellen oder einen Erdfleck zur Buddelecke ernennen.

Beobachtet dein Hund gerne? Dann kannst du ihm einen netten Platz im Garten, am Balkon oder an einer Fensterbank zur Verfügung stellen (keine Sorgen, er übernimmt dann nicht das Regiment über den Haushalt). Auch spezielle Stellen auf dem Spaziergang, auf denen ihr euch gemeinsam zum Beobachten hinsetzt, sind bei entsprechendem Wetter möglich.

Trifft dein Hund gerne Artgenossen? Dann könnt ihr vielleicht regelmäßig einen Hundekumpel treffen oder sogar Ausflüge ins Freilaufgebiet (keine Hundezone) machen.

Usw

Grundsätzlich gehört in jeden Hundealltag Schnüffeln und/oder Suchen.

Dazu gibt es einerseits Gelegenheit auf dem Spaziergang, andererseits auch viele Möglichkeiten zu Hause (z. B. wie hier im Video).

Gerade Angsthunde, die draußen noch nicht so viel Erkundungsfreude haben oder sich noch gar nicht raus trauen, profitieren enorm von kleinen Suchaufgaben drinnen.

Kann dein Angsthund noch gar nichts mit dir gemeinsam machen, ist die Therapeutische Futtersuche im Video wirklich nochmal wichtiger. Du kannst sie so einfach machen, dass sich dein Hund auf jeden Fall traut und so herausfordernd, dass er durch die Erfolge gleich ein ganz neues Selbstbewusstsein bekommt.

Klasse, oder?

Du wirst sehen, dein Hund wird entspannter.

Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmtheit nehmen Druck aus der Beziehung zwischen dir und deinem Problemhund und aus eurem gemeinsamen Alltag.

Und für die ganzen Situationen, die dein Hund noch nicht selber schafft, kannst du gezielt Verhalten trainieren, sodass später selbstständig funktionieren wird. Dazu zählt zB Schnüffeln bei Hundebegegnungen.

Es ist natürlich hündisches Verhalten und deshalb eine super geeignete Alternative zum Ausrasten.

Natürlich können wir nicht zaubern und ein Hund, der fleißig ausrastet, wird nicht plötzlich stattdessen höflich schnüffeln.

Wenn wir allerdings ein bisschen trainieren und die Umstände entsprechend zur Verfügung stellen, dass unsere Hunde die richtige Entscheidung treffen KÖNNEN, werden sie das immer zuverlässiger tun.

Ganz entspannt und freiwillig.

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